Dr. Dr. Jens Holst, international consultant - health expert
20.05.2000

Wahlen sollen Haiti aus dem Chaos führen

Lavalas-Bewegung gespalten

Von Jens Holst
In Haiti findet an diesem Sonntag die erste Runde der Parlamentswahlen statt. Die Wahlen sollen eine seit drei Jahren währende Periode extremer politischer Instabilität beenden. Die Auseinandersetzungen der letzten Wochen und Monate standen ganz im Zeichen eines Duells zwischen zwei Fraktionen der 1990 von dem Armenpriester und späteren Präsidenten Jean-Bertrand Aristide gegründeten Lavalas-Bewegung. Im Wahlkampf war es immer wieder zu Gewalttaten gekommen.

So war vor anderthalb Monaten der 70-jährige Leiter des populären Senders Radio Haiti Inter, Jean Dominique, auf offener Straße erschossen worden.Dominique hatte wegen seines Eintretens für Freiheit und Demokratie 1980 und noch einmal 1991 ins Exil fliehen müssen, um den Todesschwadronen der Duvalier-Diktatur beziehungsweise der Putschisten-Junta unter Raoul Cédras zu entgehen. 1994 kehrte er mit den US-amerikanischen Invasionstruppen nach Haiti zurück, die dem gestürzten Aristide wieder ins Amt verhalfen, wandelte sich aber bald zu einem scharfen Kritiker des Präsidenten und prangerte wiederholt dessen autokratischen und populistischen Führungsstil an. Nach dem Mord gingen in Haiti Gerüchte um, Parteigänger Aristides seien für die Bluttat verantwortlich. Belege dafür gab es jedoch nicht.

Entwicklungshilfe blockiert

Die Spaltung der früheren Anhängerschaft Aristides in zwei Lager geht zurück auf das Jahr 1997. Bei den damaligen Parlamentswahlen waren die von Aristide und seinem Nachfolger René Préval gegründete Partei "Familie Lavalas" und die von unzufriedenen Lavalas-Fraktionen dominierte "Organisation des kämpfenden Volkes" (OPL) gegeneinander angetreten. Als Mitarbeiter der UN-Mission in Haiti Manipulationen zu Gunsten der Aristide-Anhänger beobachteten, erzwang die OPL die Annullierung der Abstimmung, zog ihre Minister zurück und legte mit ihrer Mehrheit die Arbeit des Parlaments lahm. Haiti stand praktisch ohne Regierung da. Überfällige politische, soziale und wirtschaftliche Reformen blieben stecken, der IWF und andere ausländische Geber hielten eine halbe Milliarde Dollar Entwicklungshilfe zurück. Im Januar 1999 löste Präsident Préval das Parlament auf, doch bis zu den Neuwahlen vergingen fast anderthalb Jahre.

Die Lavalas-Familie kann eine kampfbereite, teilweise militante Anhängerschaft aufbieten, die auch nicht vor blutigen Auseinandersetzungen zurückschreckt. Sie hat ihr Hauptquartier auf Aristides gut gesichertem Landsitz Tabarre eingerichtet. Der einstige Armenpriester soll inzwischen über ein Vermögen von 40 Millionen Dollar verfügen.

Die OPL indes scheint ihre Beziehung zur Basis verloren zu haben. Beim Versuch, eine breite Koalition der Opposition zu schmieden, ist sie auch Bündnisse mit ultrarechten Parteien aus dem Dunstkreis der Duvalier-Diktatur eingegangen.

Hier kommen Sie direkt zum Artikel aus der Berliner Zeitung[1] vom 20. Mai 2000.

Links:

  1. http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2000/0520/none/0090/index.html