Dr. Dr. Jens Holst, international consultant - health expert

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05.07.2007

Selbstbeteiligung

An der Gesundheit sparen wird teuer

Jens Holst
Zuzahlungen im Krankheitsfall gehören überall auf der Welt zu den Dauerbrennern in der gesundheitspolitischen Reformdebatte. Mehr Eigenverantwortung lautet das parteiübergreifende Credo der meisten Gesundheitspolitiker, wenn es darum geht, den Ausgabenanstieg für die medizinische Versorgung zu bremsen.

Doch die Politik wachsender Zuzahlungen könnte genau das Gegenteil von dem erzeugen, was beabsichtigt ist. Eine jetzt im "Journal of the American Medical Association" (Jama 298) veröffentlichte Studie erhärtet den Verdacht, dass Selbstbeteiligungen der Patienten die Kosten eher in die Höhe treiben als dämpfen.

Nach Auswertung von insgesamt 132 Studien aus verschiedenen Ländern, die den Folgen von Kostendämpfungsmaßnahmen bei Medikamenten nachgingen, kommen die Jama-Autoren zu dem Schluss, dass steigende Arzneimittelzuzahlungen negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Betroffenen haben. Demnach steigt mit der Höhe der Selbstbeteiligung vor allem bei Patienten mit Zuckerkrankheit, Herzschwäche und Herzkranzgefäßverengung, Fettstoffwechselstörungen, Schizophrenie und Asthma die Häufigkeit von Komplikationen, Arztbesuchen und Krankenhausbehandlungen.

Die zusammengetragenen Befunde legen nahe, dass die Gesamtausgaben für verordnete Arzneimittel in Abhängigkeit von der Art der Medikamente und dem Zustand der Patienten pro zehnprozentiger Erhöhung der Eigenbeteiligung um zwei bis sechs Prozent sinken. Doch das hat seinen Preis: "Bei einigen chronischen Erkrankungen fanden wir heraus, dass höhere Zuzahlungen für verschriebene Arzneimittel zu einer verstärkten Inanspruchnahme teurerer medizinischer Leistungen führten", fassen die Untersucher ihr Ergebnisse zusammen.

Auch für die Wirtschaft hat das negative Folgen. So veröffentlichte das gemeinnützigen "Integrated Benefit Institute" in San Francisco eine Studie über Arbeitnehmer in den USA, die an Rheuma erkrankt sind. Eine Untersuchung von Krankenkassendaten bestätigte nicht nur, dass steigende Selbstbeteiligungen zu sinkender Einnahme von Rheumamitteln führt, sondern auch einen höheren Krankenstand der betroffenen Beschäftigten zur Folge hat.

Doch wo allerorten von der "sozialen Hängematte" und "Vollkaskomentalität" oder " Sozialschmarotzern" die Rede ist, scheinen die Uraufgaben der sozialen Sicherungssysteme in Vergessenheit geraten zu sein. Die aktuellen gesundheitswissenschaftlichen Erkenntnisse weisen den Weg in Richtung eines umfassenderen Krankenversicherungsschutzes. Gesundheitspolitiker wären deshalb gut beraten, diese neuen Erkenntnisse zu berücksichtigen.