Den enormen Zugewinn ermittelt der Professor aus Harvard anhand sogenannter qualitäts-adjustierter Lebensjahre (QALY’s), die auf einer recht willkürlichen Umrechnung von Krankheiten und Behinderungen in kalkulierbare Kosten basieren. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, die flächendeckende antidepressive Behandlung der gesamten US-Bevölkerung führe zu einer positiven Gesamtbilanz von über 72 Millionen US-Dollar und somit zu einem unbestreitbaren »Wohlfahrtsgewinn«. Damit sei den Bedenken gegen Laienwerbung für verschreibungspflichtige Medikamente die Grundlage entzogen, die bisher nur in den USA und Neuseeland zulässig ist und bekanntlich zu einem rasanten Anstieg der Arzneimittelausgaben führt. Selbst wenn der von den Gegnern dieser Theorie befürchtete schlimmste Fall einer massiven Nachfragesteigerung einträfe, würde sich dies noch im gesundheitsökonomischen Sinne rechnen.
Wenn da nicht ein kleiner Haken wäre: In der abschließenden Diskussion seines Beitrags gesteht der Autor, sein Ergebnis würde vermutlich völlig anders ausfallen, wenn man die unerwünschten Folgen der Antidepressiva-Einnahme berücksichtigt. Die hatte er nämlich in seinem Kalkül schlicht weggelassen. Dabei gehören Psychopharmaka zu den meist gefürchteten Medikamenten mit erheblichen »Neben«-Wirkungen. Sie verursachen nicht nur selbst eine Reihe unerwünschter Symptome wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Magen-Darm-Probleme, Blutdruckabfall und sexuelle Dysfunktionen. Weitaus problematischer sind die häufigen Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln, deren Wirkung sie wahlweise verstärken oder abschwächen können.
Passend zur meist erschreckend schlichten Modellwelt der Ökonomie blendet der Professor der Elite-Universität auch alle weiteren externen Effekte wie ökonomische und ökologische Zusatzkosten erhöhter Tablettenproduktion für ein 320-Millionenvolk und für den anfallenden Transport aus. Und ob wirklich jeder Säugling als Psychopharmaka-Verbraucher mitgezählt ist, bleibt ebenfalls schleierhaft. Die Studie zeigt eindrücklich, welchen Unsinn auch renommierte Universitäten verzapfen, auf die deutsche Bildungspolitiker so gerne zeigen. Und sie wirft ein schräges Licht auf die Wissenschaftlichkeit ökonomischer Fachzeitschriften, die wie die Pilze aus dem Boden schießen und ihre sozialpolitisch rückwärtsgewandten Intentionen kaum verbergen