Dr. Dr. Jens Holst, international consultant - health expert

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22.02.2010

Verbesserte Therapietreue durch intensives Wundmanagement bei intravenös injizierenden Drogengebrauchern mit chronischen Hautulzera

Jens Holst
Abstract

Chronic venous skin lesions play an increasing role in the health of longterm users of illegal drugs. Since 2007, intensified wound management methods have been applied in a low-threshold environment for treating chronic wounds of intravenous drug users in Berlin. Drug users with chronic skin ulcers are the primary target group of this treatment. Since wound management was implemented, there has been a considerable increase in medical contacts of drug users with chronic ulcers. Altogether the annual number of skin ulcer treatments has risen by 61.6% since wound management was introduced. Among high-intensity users of the innovative wound therapy, the per-capita utilisation rate has increased significantly. Adequate wound management improves adherence to the therapy of chronic wounds among intravenous drug users and therewith the conditions for successful treatment. The enhanced adherence when wound management is implemented in this patient group allows for effective prevention of super-infections and other complications as well as for consolidated wound healing. Although empirical evidence is still lacking for the causal relationship between innovative wound dressings and treatment outcomes, this therapeutic concept is proving superior for illegal drug users; this is probably attributable to the better acceptance of concomitant procedures.



Hintergrund
Seit 20 Jahren unterstützt ein interdisziplinäres Team aus Pflegenden, Ärzten, Zahnärzten, Zahnarzthelfern und Sozialarbeitern des eingetragenen Vereins Fixpunkt intravenös applizierende Drogenkonsumenten mit einem speziell auf diese Zielgruppe zugeschnittenen niedrigschwelligen, aufsuchenden und Sucht begleitenden Angebot. Der Arbeitsansatz basiert auf den Prinzipien der Suchtakzeptanz und Hilfe zur Selbsthilfe; Gesundheitsförderung und Stärkung des Gesundheitsbewusstseins der Konsumenten illegaler Drogen stehen im Mittelpunkt.

Ziel des „Vereins für Sucht begleitende Hilfe“ ist die Verbesserung der gesundheitlichen, psychischen und sozialen Lage von Drogengebrauchern. Dazu suchen die Mitarbeiter von Fixpunkt e.V. die Zielgruppe an deren typischen Aufenthaltsorten auf und bieten dort eng vernetzt medizinische und zahnärztliche Behandlung, Prävention und Gesundheitsförderung sowie psychosoziale Beratung. Zu dem Angebot gehören auch Möglichkeiten zum Spritzentausch, Kondomausgabe, Schulung der Zielgruppe im Umgang mit Drogennot- und -todesfällen, sowie die Schaffung von menschenwürdigen, medizinisch und hygienisch akzeptablen Bedingungen für den Drogenkonsum in Konsumräumen.

Bei der medizinischen Versorgung chronischer Drogengebraucher am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg vollzog sich in den vergangenen Jahren ein allmählicher, aber steter Wandel von der Akutversorgung injektionsbedingter Komplikationen wie Paravasaten und Abszessen und anderen ebenfalls eher als akut einzustufenden Problemen zur vermehrten Behandlung chronischer Störungen wie dauerhaften Hautgeschwüren bei Schädigung der Haut und tiefen Bein- und Beckenvenenthrombosen. Erfolgte 1998 kaum mehr als jede 30. der insgesamt 2.371 Behandlungen im Gesundheitsmobil (3,5 %) wegen Hautgeschwüren, stieg dieser Anteil 2003 auf fast 17 % der 1.443 Kontakte, und 2008 war mehr als jede dritte der 1.393 medizinischen Maßnahmen (35,8 %) durch chronische Ulcera bedingt. Gleichzeitig sank die Anzahl der Behandlungen akuter Abszesse um knapp 10 % von 645 im Jahr 1997 auf 419 im Jahr 2008; und ihr Anteil an der Gesamtheit der therapeutischen Kontakte blieb über den gleichen Zeitraum trotz vorübergehenden Absinkens auf gut 25 % letztlich nahezu konstant bei 30 %. Das dürfte unter anderem Ausdruck der zunehmenden Dauer der Drogenkarrieren bei der Patientengruppe sein, da mit der Dauer der Drogeninjektion die Häufigkeit von Abszessen abnimmt (Binswanger et al. 2000: 580f). Vor allem Anfang 2007, also dem Beginn der intensivierten Wundbehandlung, zeigte sich ein sprunghafter Anstieg der Behandlungsfälle wegen chronischer Hautprobleme von 303 auf 503 und damit um 52,42 % gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt lagen die durchschnittlichen Behandlungsfallzahlen mit dieser Diagnose in den Jahren 2007 und 2008 um 61,61 % über dem entsprechenden Mittelwert für den Zeitraum 2003-2006, der relative Anteil an den Gesamtbehandlungen stieg um gut 38 %.

Als chronisch gelten Wunden, deren Heilung mehr als drei Monate in Anspruch nimmt oder sich deutlich länger als üblich verzögert. Ursache für verzögerte Wundheilung sind üblicherweise zumeist Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus oder venöse bzw. arterielle Insuffizienz. Stoffwechsel- oder Durchblutungsstörungen beeinträchtigen die Versorgung der betroffenen Hautareale und verzögern die Regeneration bei Verletzungen oder Schädigungen. Die meisten intravenösen Drogengebraucher weisen Ulcera cruris auf, aber in Abhängigkeit von den bevorzugten oder möglichen Injektionsstellen entstehen chronische Wunden auch an den Oberschenkeln oder anderen Körperteilen. Bei Patienten mit chronischen Geschwüren der unteren Extremitäten handelt es sich ganz überwiegend um Konsumenten mit tiefer Bein- oder Beckenvenenthrombose bzw. postthrombotischem Syndrom in Folge der Drogenapplikation in die Leistenvenen. Bekanntermaßen besteht eine lineare Korrelation zwischen der Dauer der Drogeninjektion in die untere Extremität und dem klinischen Schweregrad der chronisch-venösen Insuffizienz (Pieper und Templin 2001: 427ff). Ursächlich dabei zunächst die Schädigung von Endothel und Venenwand, solange die intravenöse Applikation möglich ist (Scott et al. 1995: 624ff); im weiteren Verlauf spielt aufgrund der fortschreitenden Zerstörung oberflächlicher sowie tiefer gelegener Venen die subkutane bzw. intramuskuläre Injektion eine vorrangige Rolle bei der Entstehung von Hautläsionen und chronischen Ulcera (Binswanger et al. 2000: 580f; Pieper und Templin 2003: 93).

Literaturangaben weisen darauf hin, dass die Nutzer illegaler Drogen insgesamt ein erhöhtes Risiko einer tiefen Bein- oder Beckenvenenthrombose aufweisen (Mackenzie et al. 2000: 562f); gleichzeitig sind Thrombosen insgesamt zu 21,4 % mit intravenösem Drogengebrauch assoziiert, und bei Frauen unter 40 Jahren sogar zu 52,4 % (McColl et al. 2001: 642f). Die Kombination venöser und arterieller ist keineswegs selten und in vielen Fällen die Ursache für chronische Hautulzerationen an den betroffenen Extremitäten (Callam et al. 1987: 930f; Scriven et al. 1997: 334ff). Jüngste internationale Erhebungen legen nahe, dass bei rund einem von sechs der überwiegend mit Methadon behandelten Patienten aufgrund des weit verbreiteten gleichzeitigen Nikotinabusus und körperlicher Inaktivität zusätzlich eine periphere arterielle Verschlusskrankheit vorliegen dürfte (Pieper et al. 2009: 269f). Insbesondere bei HIV-positiven Drogennutzern kommt in etwa zwei von neun Fällen eine Polyneuropathie hinzu, die zum einen negativen Einfluss auf das Regenerationspotenzial der Haut und Subkutis hat und zum anderen über parese- oder schmerzbedingte Mobilitätseinbußen die Venenpumpenfunktion vor allem der Unterschenkelmuskulatur einschränkt (Pieper und Templin 2006: 33ff). Vielfach entsteht ein Teufelskreis aus verminderter Mobilität der Fußgelenke, zunehmenden Schmerzen und abnehmender Laufstrecken, die zur klinischen Verschlechterung bestehender der chronisch-venösen Insuffizienz beitragen (Pieper et al. 2007; vgl. auch Scott et al. 1995: 624f).

Offene Geschwüre verursachen schwere Belastungen und bringen für die Betroffenen einen erheblichen Verlust an Lebensqualität mit sich (Philipps et al. 1994; Pieper et al. 2000; Pieper und Templin 2003: 96f). Sie können zu Bewegungseinschränkungen in Folge von Wundschmerzen führen, was wiederum die Abheilung der Wunde hinauszögern oder verhindern kann. Belastend sind vielfach die Geruchsbildung in Folge der Feuchtigkeitsansammlung mit Besiedlung anaerober Keime und die soziale Ausgrenzung und Isolation. Bisher liegen keine systematischen Untersuchungen über die Keimverschleppung und –verbreitung bei offenen chronischen Ulzerationen vor, wohl aber generelle Hinweise auf die Übertragung von MRSA und anderen hoch pathogenen Bakterien durch direkten Kontakt in Familien und Haushalten (Conly und Johnston 2003: 250; Rietkötter et al. 2007: 1416) sowie insbesondere über Haustiere (Weese und van Duijkeren 2009). Es ist zu vermuten, dass hier ein hygienisches Problem vorliegt, dass nicht nur das unmittelbare soziale Umfeld der Patienten betrifft, sondern auch vermeintlich unbeteiligte Bevölkerungsgruppen betreffen kann.

Die kontinuierliche Zunahme chronischer Hautveränderungen mit ihrem gesundheitsgefährdenden Potenzial und starker Beeinträchtigung der Lebensqualität der Drogen benutzenden Patienten veranlasste die Mitarbeiter des Fixpunkt-Gesundheitsmobils, nach angepassten Verfahren zur besseren Therapie von dermalen Ulcera zu suchen. Die unter dem Sammelbegriff „modernes Wundmanagement“ zusammengefassten neuartigen Methoden erschienen viel versprechend nicht nur auf Grund ihres therapeutischen Potenzials, sondern auch im Hinblick auf die erforderliche Kontinuität der Behandlung und Therapietreue. Zwar heißt es in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Dermatologie„ … ist es neben der Behandlung der die Ulzeration auslösenden Erkrankung(en) alleinige Aufgabe der lokalen Wundtherapie, eine ungestörte Wundheilung zu ermöglichen“ (DDG 2009). Doch insbesondere bei der besonderen Zielgruppe des Gesundheitsmobils waren bei erfolgreicher Umsetzung des Therapiekonzepts auch weiter gehende Wirkungen zu erwarten.

Adherence
Unter Adherence versteht man anders als unter Compliance die Höhe der Übereinstimmung des tatsächlichen und des mit dem Leistungserbringer vereinbarten Patientenverhaltens. auf die Nutzer des Gesundheitswesens bedeutet Adherence die Bereitschaft insbesondere chronischer Patienten, den abgesprochenen medizinischen Vorgaben wie medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapien sowie Lebensstiländerungen zu folgen. Auf den Leistungserbringer bezogen bedeutet Adherence die Bereitschaft, medizinische Anweisungen und Strategien auf die Möglichkeiten und Wünsche des Patienten abzustimmen. Die Patienten sind durch eine gemeinsam verantwortete Übereinkunft über die angemessene medizinische Behandlung vermehrt einbezogen und ihre Rolle verlagert sich vom bloßen Erfüllen von Anordnungen hin zur Einhaltung von Vorgaben (Gorenoi et al. 2007: 16). Hinzu kommt ein zunehmendes Interesse der Therapeuten an den Vorstellungen und Prioritäten der Patienten, und Ärzte und Pflegende richten ihre Tätigkeit zunehmend auf unterstützende Begleitung insbesondere von Menschen mit chronischen Krankheiten aus.

Das vor allem in den Industrieländern steigende Interesse am Thema Adherence spiegelt zweifellos ein sich veränderndes Verhältnis zwischen Therapeuten und Patienten wider. Adhärenz-Konzepte stehen in engem inhaltlichem Zusammenhang mit dem übergreifenden Trend zu mehr Eigenverantwortlichkeit und zum „shared decision making“ in der Krankenversorgung. Hinter der raschen Verbreitung des Adherence-Konzepts verbergen sich allerdings auch gewichtige ökonomische Argumente. Untersuchungen weisen darauf hin, dass beispielsweise zwischen einem Fünftel und der Hälfte der Patienten verordnete Arzneimittel nicht einnehmen (Osterberg 2005. S. 489ff; DiMatteo 2007, S. 202ff) und Interventionen zur Verbesserung der Adherence vergleichsweise geringe und auf jeden Fall langsame Effekte erzeugen (Kripalani et al. 2007, S. 542ff). Gleichzeitig gehen in den USA je nach Studie ein bis zwei Drittel aller durch Medikationsfehler bedingten Krankenhausaufnahmen auf Adherence-Probleme zurück, die entsprechenden Kosten belaufen sich auf rund 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr (Osterberg und Blaschke 2005: 488).

Hinter dem üblicherweise mit Therapietreue übersetzten Begriff Adherence steht der Anspruch, dass Behandler und Patient Therapieentscheidungen einvernehmlich treffen und gemeinsam für den Erfolg einer Therapie verantwortlich sind (WHO 2003, S. 4). Umfangreiche Erfahrungen mit Adherence liegen vor allem im Bereich der hochwirksamen Therapie von HIV/AIDS (HAART) (Ammassari et al. 2002; Catz et al. 2002; Hamilton 2003) sowie bei Hypertonie und Diabetes mellitus vor. Die europäische Studie Living with the daily dose zur Verbesserung der Therapietreue bei der antiretroviralen Behandlung HIV-infizierter Drogengebraucher zeigte, dass die Qualität der Beziehung zwischen Arzt bzw. Pflegekraft und Patient zentrale Voraussetzung für eine reibungslose Behandlung ist (Busch und Haltmayer 2004: 37ff). Diesen Befund bestätigt eine internationale Metaanalyse auf der Grundlage von 84 Studien aus Industrie- und Entwicklungsländern, von denen immerhin 17 eine vertrauensvolle Beziehung zum Behandler als Adhärenz fördernd belegen konnten; immerhin fünf Studien zeigten auf, dass Behandlungserfolge ebenfalls die Therapietreue fördern (Mills et al. 2006: 2052f). Bei Diabetikern ist bekannt, dass neben den anfallenden Kosten unter anderem mehr als zwei tägliche Medikationen und die Unfähigkeit, den Beipackzettel zu verstehen, negativen Einfluss auf die Therapietreue haben (Odegard und Gray 2008: 695). Die Adherence hängt vom Verständnis der Behandlung, der Wahrnehmung von Therapieerfolgen und unerwünschten Wirkungen, von den anfallenden Arzneimittelkosten und vom psychischen Befinden ab (Rubin 2005: 294ff). Auch für Hypertoniker liegen mittlerweile Erkenntnisse vor, welche Faktoren die Therapietreue beeinflussen und wie die Adhärenz zu verbessern ist (Ogedegbe et al. 2003: 522ff; Goldstein et al. 2005; Krousel-Wood et al. 2009).

Insgesamt besteht eine positive Korrelation von Adherence mit Faktoren wie sozialer und emotionaler Unterstützung sowohl durch Angehörige und Freunde als auch durch medizinisches Fachpersonal, stabiler psychischer Lage und Selbstvertrauen. Ungünstig sind soziale Instabilität, gekennzeichnet durch Abhängigkeit von Sozialhilfe, Arbeitslosigkeit, Mangel an stabilen Beziehungen, zurückliegende Gefängnisaufenthalte sowie unklare Wohnsituation, und psychische Beeinträchtigungen oder Erkrankungen (vgl. Kinner und Campbell 2009). Mithin stellen die typischen Lebensbedingungen und Problemlagen von Drogenbebrauchern hohe Hürden für Therapietreue dar (Amassari et al. 2002: S124f, Fogarty et al. 2002: 97f; Catz et al. 2001: 52ff; Molassiotis et al. 2002: 305f). Stabilisierend wirken sich ein stabiles Lebensumfeld, die Vernetzung der Hilfe-Einrichtungen bzw. Betreuung im interprofessionellen Team und stabile Substitutions-Bedingungen auf drogenabhängige Patienten aus (Guggenbühl et al. 2000: 75ff; Michels et al. 2007: 10ff). Diese Voraussetzungen dürften auch die Chancen, langfristig und kontinuierlich Absprachen einzuhalten, bei solcher Patienten verbessern, die eine dauerhafte und zuverlässige Behandlung üblicherweise vor größere Schwierigkeiten stellt.

Methoden
Während der ersten 15 Jahre beschränkte sich das therapeutische Spektrum des Gesundheitsmobils von Fixpunkt e.V. bei der Versorgung von Hautläsionen intravenös applizierender Drogengebraucher auf klassische Methoden der Wundreinigung und Desinfektion vorwiegend mit Wasserstoffperoxid und Polyvidon-Jod-Lösungen sowie auf entsprechende Wundverbände. Mit Beginn des Jahres 2007 erfolgte die Umstellung der Behandlungsmethoden auf die Methoden des Wundmanagement nach ICW (Initiative chronische Wunden). Seither erfolgte die Versorgung chronischer Wunden durch zertifizierte Wundexperten und geschulte Fachärzte, die in ausgewählten Fällen neuartige Materialien zur Therapie verwenden. Dieses Verfahren ergänzt den bisherigen Therapieansatz und ist an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet. Insgesamt verspricht es eine bessere Wundheilung und Infektionsprophylaxe sowie positive Auswirkungen auf die Adherence dieser speziellen Patientengruppe.

Sprechen die Bedingungen für eine intensivierte Wundbehandlung, leitet das Gesundheitsmobilteam die Behandlung nach ICW ein, die sich in der Regel über einen Zeitraum von vielen Monaten erstreckt. Die Patienten nehmen aktiv an Wundbegutachtung, -reinigung und Verbandwechsel teil, erlernen grundlegende Hygieneregeln für den Umgang mit der Wunde und die Vermeidung von Umgebungskontamination, und erhalten Einweisung in die Technik der Kompressionstherapie. Bei den Behandlungen kommen Beobachtungen wie ein Stillstand des Heilungsprozesses oder Befundverschlechterungen zur Sprache, und ggf. erfolgt die Suche nach möglichen Ursachen wie Injektionen in Wundränder oder versorgende Gefäße, Lücken im Verbandwechsel, zusätzliche Erkrankungen und andere Probleme. Das behandelnde Team fragt regelmäßig nach der Verträglichkeit der Wundauflagen, denn gerade bei oft langen Behandlungszeiten sind subjektive Wahrnehmungen und Vorlieben ernst zu nehmen, um die Kontinuität der Behandlung sicher zu stellen (Royal College of Nursing 2006: 12). Einsatz und Abfolge der Behandlungsschritte richten sich immer nach dem Wundheilungsverlauf und den Bedürfnissen der Patienten.

Zur Anwendung kommen verschiedene Formen von Wundauflagen und –verbänden. So verwendet das Gesundheitsmobilteam semipermeable bzw. semiokklusive unsterile Filmverbände, also wasserdampf- und sauerstoffdurchlässige, aber wasser- sowie bakterien- und teilweise virendichte Folien ohne Saugkissen. Des Weiteren umfasst das Repertoire semiokklusive sterile Wundverbände zur feuchten Wundbehandlung vorwiegend auf der Grundlage von Hydrogelen, Pektinen, Gelatine und Zellulosederivaten sowie Alginatkompressen aus tamponierbaren, wirkstofffreien Calcium-Alginat-Fasern. Wundgazen mit Lipidokolloidträgermatrix, Hydrokolloid-Partikeln und wirkstofffreien Salbenkompressen oder mit Silber imprägnierte, nicht-haftende Wundauflagen bzw. silberhaltige Salbenkompressen mit hypo-allergener Salbenmatrix zur Wundrandpflege ergänzen das Behandlungssortiment. Bei der Auswahl des Wundverbandmaterials spielen in erster Linie die Handhabbarkeit der Auflagen, ihre Größe, die subjektive und objektive Wirksamkeit und Verträglichkeit, die Kombinierbarkeit mit Kompressionsverbänden und nicht zuletzt der Preis eine Rolle (Rudolph 2001: 24ff).

Die Behandlung chronischer Wunden bei Drogenabhängigen muss die Komplexität der Genese und Ätiologie (vgl. Pieper et al. 2007: 1308) berücksichtigen und erfordert einen umfassenden Ansatz, der bei langjährigen Drogengebrauchern Krankheitseinsicht, kontinuierliche Mitarbeit an der Behandlung und Übernahme von Verantwortung erfordert. Beim Behandlungsteam sind Kompetenz und Fachwissen, Respekt und Akzeptanz gegenüber der möglicherweise als befremdlich empfundenen Lebensweise des Patienten sowie ein professionelles Interesse an dessen Lebensumständen Voraussetzung. Hinzu kommen die partizipative Aufklärung über Ursachen und Perspektiven der Erkrankung, verschiedene Therapiemöglichkeiten, ihre Wirkungen und Begleiterscheinungen und die Schulung über Fragen der Wundbehandlung. Gleichzeitig ist unbedingt auf eine konsequente Umsetzung des verabredeten Behandlungsplans und Einhaltung der Verabredungen zu achten, auch wenn bei dieser speziellen Patientengruppe gleichzeitige eine gewisse Toleranz gegenüber gelegentlicher Abweichungen unumgänglich ist (Ambiguitätstoleranz). Die Therapie chronischer Wunden erfordert einen ganzheitlichen Blick und die Berücksichtigung ganz unterschiedlicher Einflussfaktoren. Neben sachgerechtem und möglichst schmerzfreiem Verbandswechsel (vgl. Woo et al. 2008a) sind die regelmäßige Wundbeobachtung und -beurteilung, die Berücksichtigung von allgemeinen gesundheitlichen Bedingungen, die Kenntnis psychosozialer Einflüsse und die Dokumentation der Wundversorgung unerlässlich und erfolgten während der Untersuchungsperiode engmaschig durch identische Behandler (vgl. Royal College of Nursing 2006: 12).

Ergebnisse
Vorrangiges Ziel des Wundmanagements ist es, unter Berücksichtigung aller körperlichen, psychischen und sozialen Einflüsse durch möglichst schmerzfreie Wundbehandlung einen schnellstmöglichen Wundverschluss zu erreichen. Die Therapie einzelner Läsionen erstreckt sich oft auf sechs und in einigen Fällen sogar auf mehr als 12 Monate. Ein wesentlicher Indikator zur Erfassung der Adherence bzw. Therapietreue in einem Setting wie dem Angebot von Fixpunkt e.V. ist die Zahl der Kontakte mit dem Behandlungsteam, d.h. die Häufigkeit, mit der Patienten zur Behandlung eines gegebenen Gesundheitsproblems vorstellig geworden sind. Seit Einführung des medizinischen Versorgungsangebots erfassen die Mitarbeiter des Gesundheitsmobils sämtliche Behandlungen mit Hilfe eines computergestützten Patientenarchivs, dessen Eingaben in eine Datenbank einfließen und dort gespeichert sind. Dieser Datensatz erlaubt die Analyse von globalen Fallzahlen ebenso wie das Nachverfolgen von Fällen an Hand der Diagnosen und somit von Behandlungsabläufen. Aus den Datensätzen für die Jahre 2003 bis 2008 ließen sich retrospektiv sämtliche Patientenkontakte sowie die Häufigkeit der Behandlungen chronischer Hautgeschwüre ermitteln, was sowohl die Berechnung relevanter Durchschnittsgrößen aller erfolgten Versorgungsleistungen als auch die diagnosespezifische Behandlungshäufigkeit bei den Nutzern des Wundbehandlungsangebots erlaubte. Dabei ließen sich einige Trends erkennen, die Adherence-Gewinne insgesamt und insbesondere bei ausgewählten Patienten nahe legen und die zunächst subjektiv beobachteten Tendenzen statistisch untermauern.

Tatsächlich führte die Erweiterung des medizinischen Versorgungsangebots von Fixpunkt e.V. um das Wundmanagement nach ICW zu einem Anstieg der Patientenkontakte wegen chronischer Hautgeschwüre um zwei Drittel im Vergleich zu den letzten vier Jahren vor Einführung dieser Methode. In den beiden Jahren nach der Einführung kam es fast zu einer Verdoppelung der patientenbezogene Inanspruchnahme des Wundmanagementangebots im Vergleich zu den vorangehenden vier Jahren, d.h. im Durchschnitt wurden alle Patienten mit chronischen Ulcera nahezu doppelt so häufig vorstellig. In der Gesamtheit zeigte sich eine Steigerung der mittleren jährlichen Behandlungshäufigkeit bei Patienten mit nicht-akuten Hautproblemen auf das 1,84-Fache (Erhöhung auf 183,74 % des Basiswerts der Jahre 2003-2006), wobei sich für das letzte erfasste Jahr 2008 eine weiter nach oben weisende Verstetigung dieser Tendenz erkennen lässt:

Wesentlichen Anteil an dieser Zunahme seit Einführung der aufwändigeren Wundbehandlung hatte dabei die Gruppe der Hochnutzer (Steigerung um 69,77 %), die mindestens 10 Mal pro Jahr zur Behandlung ihrer Hautgeschwüre vorstellig wurden, also der primären Zielgruppe dieses neuen Therapieangebots. Bei den Patienten mit dieser Diagnose, die das Gesundheitsmobil jeweils zwischen 5 und 9 Mal pro Jahr nutzen, ist die durchschnittliche Zahl der Kontakte zwar konstant, es zeigt sich aber eine Wanderung dieser Gruppe zu den Hochnutzern. Bei dieser statistischen Auswertung ist zu bedenken, dass hier sämtliche diagnosebezogenen Behandlungen zur Geltung kommen, also auch Einzel- oder Gelegenheitskontakte ohne erkennbaren Wunsch, ohne Möglichkeit oder ohne Bedarf an kontinuierlicher Behandlung im Gesundheitsmobil. Dabei ist zu betonen, dass der Anteil der „Gelegenheitskontakte“ bis maximal viermal pro Jahr wegen chronischer Hautprobleme in Anbetracht der Beschwerdedauer relativ groß und interessanterweise über die betrachteten Jahre 2003 bis 2007 vergleichsweise konstant ist, aber zuletzt einen Rückgang aufweist, während der Anteil von Hochnutzern kontinuierlich steigt. Die folgende Tabelle vermittelt einen Überblick über den Anteil der Patienten, die in jedem Jahr des Beobachtungszeitraums das Gesundheitsmobil genau einmal, ein bis zwei Mal, ein bis drei Mal und ein bis vier Mal wegen dieser Problematik aufgesucht haben. Diese Zahlen verdeutlichen, dass kaum mehr als ein Viertel aller behandelten Patienten mit chronischen Hautulcera eine Kontaktfrequenz mit dem Gesundheitsmobil aufweist, die eine intensivierte Wundbehandlung nach ICW überhaupt in Betracht kommen lässt und somit verwertbare Aussagen zur Adherence erlauben würde.

Tabelle 1:
Jahr 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Mittelwert Stand.abw.
Anteil 1 x Nutzer 44,44 47,37 30,56 49,33 45,33 37,29 42,39 7,10
Anteil ≤ 2 x Nutzer 63,49 57,89 58,33 61,33 60,00 47,46 58,09 5,59
Anteil ≤ 3 x Nutzer 74,60 63,16 69,44 66,67 66,67 55,93 66,08 6,26
Anteil ≤ 4 x Nutzer 79,37 68,42 73,61 70,67 73,33 66,10 71,92 4,65
Anteil ≥ 10 x Nutzer 7,94 13,16 11,11 14,67 20,00 20,34 14,54 4,91

Betrachtet man nur jene Gesundheitsmobilnutzer, die häufiger als gelegentlich oder „zufällig“ eine Behandlung chronischer Hautläsionen in Anspruch nahmen, also mindestens fünf Mal pro Jahr eine Wundtherapie erhielten, zeigt sich für den Zeitraum Januar 2007 bis Dezember 2008 ein Anstieg um 81,24 % im Vergleich zur durchschnittlichen diagnosebezogenen Nutzungsrate der vier vorangehenden Jahre. Dabei stieg die durchschnittliche Behandlungshäufigkeit der Hochnutzer, die in den beiden letzten Jahren jeweils mindestens zehn Mal zur Behandlung eines chronischen Hautulkus das Gesundheitsmobil aufgesucht hatten, im Schnitt um zwei Drittel (64,67 %) (blaue Säulen in nachfolgender Grafik). Dieser signifikante Anstieg bei den Hochnutzern, die ja mehrheitlich bereits vor Einführung des Wundmanagement zu den regelmäßigen Besuchern gehört hatten, ist als Hinweis auf eine bei dieser Gruppe deutlich verbesserte Adherence anzusehen. Auch unter Einbeziehung der Mehrnutzer (orange Säule), die zwischen fünf und neun Mal das Gesundheitsmobil aufsuchten, ergibt sich noch eine deutliche Steigerung der jährlichen Behandlungshäufigkeiten.

Zur Bewertung der Auswirkungen einer veränderten Behandlungsstrategie im Rahmen des Wundmanagements nach ICW auf die Adhärenz Drogenabhängiger sind die Daten der relativ kleinen, aber kontinuierlich wachsenden Gruppe der Hochnutzer von besonderer Relevanz. Machten die Drogennutzer mit mindestens zehn Ulkusbehandlungen pro Jahr zwischen 2003 und 2006 im Mittel noch 11,72 % aller Patienten mit chronischen Hautgeschwüren aus (Standardabw. 2,91 %, Streuung 7,94 - 14,67 %), nahmen 2007 und 2008 nahezu konstant im durchschnittlich 20,17 % (Standardabw. 0,24 %, Streuung 20,00 - 24,34 %) aller Ulkuspatienten das Angebot der intensivierten Wundbehandlung zehn Mal oder häufiger in Anspruch (s. Tab. 1). Der Anteil der Hochnutzer an der Gesamtpopulation der Patienten, die das Gesundheitsmobil wegen chronischer Hautveränderungen aufsuchen, hat somit durchschnittlich um 72,12 % zugenommen. Dieses Ergebnis lässt sich als Hinweis auf bessere Adhärenz werten.

Bei insgesamt acht aktuellen „Hochnutzern“, die während des gesamten Erfassungszeitraums vom 1. Januar 2003 bis zum 31.12.2008 das intensivierte Wundversorgungsangebot auf dem Fixpunkt-Gesundheitsmobil für chronische Hautulcera in Anspruch nahmen und somit für eine vergleichende Analyse in Frage kommen, zeigte der Abgleich der durchschnittlichen Pro-Kopf-Behandlungszahl ab Januar 2007 einen hochsignifikanten Anstieg. Bei diesem Personenkreis erhöhte sich die Anzahl individueller Ulkusbehandlungen gegenüber der jährlichen Nutzungsrate der Vorjahre 2003-2006 in den ersten beiden Jahren der Anwendung des modernen Wundmanagement im Gesamtdurchschnitt auf mehr als das Dreifache (310,03 %), wobei die Werte hierbei relativ heterogen waren (Standardabweichung 159,22 %, Streuung 93,75 - 507,69 %). Die folgende Grafik veranschaulicht die deutlich gestiegene Adherence der Fixpunkt-Patienten mit regelmäßiger Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen in Form der Zunahme der durchschnittlich erhaltenen Behandlungsleistungen chronischer Hautulzerationen pro Jahr seit Einführung des modernen Wundmanagement (2007-2008) gegenüber dem vorherigen Zweitraum 2003-2006.

Die Erfahrungen im Gesundheitsmobil am Kottbusser Tor zeigen, dass es ist möglich und sinnvoll ist, drogenabhängige Patienten mit chronischen Wunden nach den Prinzipien des modernen Wundmanagements zu behandeln. Zentrales Merkmal ist das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Patient und Behandlungsteam bei der Verabredung und Einhaltung des Therapieplans. Eine konstruktive, partnerschaftliche Zusammenarbeit von Behandler und Behandeltem birgt Vorteile für alle Beteiligten, die von rascherer Wundheilung, selteneren Arztbesuchen und geringeren Komplikationsraten profitieren. Und für die Allgemeinheit der Versicherten entstehen niedrigere Kosten, da angemessene Wundversorgung die Zahl komplikationsbedingter Krankenhauseinweisungen verringert.

Bemerkenswert ist die Beobachtung an Hand von Einzelfällen, dass selbst Patienten mit selbstschädigendem Verhalten trotz schlechter unbefriedigender bisheriger Compliance und Nichteinhaltens von ärztlichen und pflegerischen Ratschlägen Adherence entwickeln und von Behandlungserfolgen profitieren können. Insgesamt wirkt sich jeder Behandlungserfolg positiv auf Selbstwert- und Körpergefühl der Betroffenen und vielfach auch auf andere Bereiche des Gesundheitsverhaltens aus.

Die bei Anwendung verschiedener Wundauflagen bisweilen beschriebenen allergischen Reaktionen traten im Fixpunkt-Gesundheitsmobil bisher in keinen Fall auf. Gleichzeitig berichten die Patienten, die in den Genuss der intensivierten Wundbehandlung gekommen sind, dass Verbandswechsel bei Verwendung der verschiedenen Folienverbände in der Regel wesentlich geringere Schmerzen auftreten. Einfache Gazeauflagen und andere herkömmliche Verbände trocknen nämlich in den üblichen Behandlungspausen von mindestens zwei, manchmal deutlich mehr Tagen an und lassen sich nur unter Schwierigkeiten lösen, wobei sich Schmerzen und Gewebsschädigungen nicht immer vermeiden lassen, zumal empfohlene Vorgehensweisen unter den Bedingungen des Gesundheitsmobils teilweise nicht umsetzbar sind (vgl. Woo et al. 2008a: 149).

Insgesamt erweisen sich die Methoden der intensivierten Therapie chronischer Wunden bei intravenös applizierenden Drogengebrauchern als Erfolg versprechend. Zwar steht der zweifelsfreie und Evidenz basierte Nachweis der Wirksamkeit des „modernen Wundmanagement“ bei verschiedenen Patientengruppen mit chronischen Ulcera noch aus, doch zeigen die Erfahrungen des Teams im Gesundheitsmobil von Fixpunkt e.V., dass dieser Ansatz im Rahmen eines niedrigschwelligen Gesundheitsprojekts für Drogengebraucher großes Potenzial für verbesserte Heilungschancen durch nachweislich gesteigerte Adherence birgt. Neben der eigentlichen Wundbehandlung ist dabei gerade eine stabile, partnerschaftliche und respektvolle Beziehung zwischen therapeutischem Team und Patienten Adhärenz fördernd und wesentlich für die therapeutischen Erfolge der Wundbehandlung. Im Rahmen dieser Untersuchung konnte zwar keine systematische Erhebung der Auswirkungen neuartiger Folienverbände auf die Wundheilung erfolgen, aber zumindest bei den Hochnutzern mit intensiver Therapie war eine verbesserte Wundheilungstendenz zu beobachten.

Diskussion
Herstellerfirmen von Wundauflage-Präparaten sehen sich der Kritik ausgesetzt, in Ermangelung überzeugender empirischer Belege für die Wirksamkeit ihrer Wundauflagen gezielt Kranken- bzw. Altenpflege- und Selbsthilfeorganisationen anzusprechen, um ihre Produkte zu vermarkten (AMB 2008). Auffällig sind die teils massive Präsenz von versteckter (s. z.B.National healing oder Medizin und Praxis) oder offener (z.B. Wundplattform, Weiterbildung Wundmanagement, European Wound Management Association oder Wound Care Net) Pharmawerbung und vielfältige Links zu den Homepages einschlägiger Produktanbieter auf den Webseiten der Netzwerke zur Wundbehandlung (AMB 2008: 38). Auch hat sich binnen kurzer Zeit ein umfangreicher Markt für Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Behandlung chronischer Wunden entwickelt – selbstverständlich ganz im Trend mit zahlreichen Zertifizierungs- und Rezertifizierungsoptionen.

Zweifellos ist die Indikationsstellung für die Verwendung neuartiger Wundauflagen zur Therapie chronischer venöser Geschwüre in Anbetracht der vorliegenden Daten insgesamt mit Zurückhaltung zu bewerten (Palfreyman et al. 2007, AMB 2008). Bisher stehen empirische Belege für die höhere Wirksamkeit des „modernen Wundmanagement“ gegenüber klassischen Ulkusbehandlungen mit Kochsalz, Beta-Isadona oder anderen einfachen Verfahren aus (Palfreyman et al. 2006: 15; AMB 2008), und die behutsame Wundreinigung und Spülung von Wunden mit Kochsalzlösung oder sterilem Wasser zur Entfernung von Exsudaten und Zellabscheidungen sowie zur Verringerung der Bakterienbesiedlung ist eine praktische und einfache Alternative (Schulz et al. 2003: S13). Insbesondere die Frage der Kosten-Nutzen-Effektivität ist in Anbetracht der vergleichsweise höheren Preise neuartiger Wundauflagen sicherlich skeptisch zu bewerten, wobei allerdings Produkte aus sehr unterschiedlichen Preissparten zur Verfügung stehen.

Bei der Zielgruppe langjährig intravenös Drogen konsumierender Personen scheinen allerdings bestimmte Aspekte eine Rolle zu spielen, die diese Patientengruppe von anderen unterscheiden und möglicherweise eine breitere Indikationsstellung für die Verwendung moderner Wundauflagen ratsam erscheinen lassen. Die bei der Behandlung chronischer Wunden bei Drogenabhängigen beobachtete Überlegenheit dieser Präparate gegenüber traditionellen Verbandstechniken dürfte auf einige nachfolgend dargestellte spezifische Faktoren dieser Zielgruppe zurückzuführen sein.

Die Einführung neuartiger Behandlungsformen in der Versorgung chronischer Wunden bei Drogennutzern stellt einerseits vergleichsweise hohe Anforderungen an die Patienten, bietet andererseits aber auch hervorragende Voraussetzungen für eine stärkere Einbeziehung des Einzelnen in seine Therapie. Diese ansonsten nicht durch Zuwendung verwöhnte soziale Randgruppe erkennt den spürbar erhöhten Aufwand von Seiten der Behandler und erfährt damit eine vielfach ungewohnte Wertschätzung (vgl. Guggenbühl et al. 2000: 84).

Ein praktisch bedeutsamer Vorteil des intensiven Wundmanagement dürfte sich aus der vergleichsweise langen Haltbarkeit vorgefertigter Verbände ergeben. Diese verbleiben üblicherweise mehrere Tage lang und verringern damit deutlich die Notwendigkeit häufiger Kontakte mit Ärzten bzw. Pflegekräften. Das wiederum reduziert die Anforderungen an die aktive Beteiligung dieser problembelasteten Patientengruppe und erleichtert die Einhaltung von Therapieplänen. Zugleich steigert die verringerte Schmerzentwicklung beim Verbandwechsel das Vertrauen der Patienten in die Behandler, baut nachvollziehbare Hürden für die Kontaktaufnahme mit einer ambulanten Versorgungseinrichtung ab und trägt somit zur Verbesserung der Therapietreue bei.

Ein weiterer spezifischer Vorteil neuartiger Wundauflagen bei chronischen Drogennutzern liegt darin, dass sie die Patienten von der Manipulation an den Ulcera und der Applikation von Drogen in die Wundareale abhalten. Viele Drogenabhängige haben einschlägige Erfahrungen mit Abszessen, Wunden sowie mit diversen Hauterkrankungen und neigen vielfach dazu, selbständig die Läsionen zu „behandeln“ und diese zu manipulieren. Gerade schwer therapierbare Drogennutzer tendieren sogar dazu, in Ermangelung punktierbarer Venen in die zumeist gut perfundierten Wundareale Drogen zu injizieren, was nicht selten den Heilungserfolg bei anderen Therapieansätzen zunichte macht.

Auch verspricht die Wundbehandlung nach ICW mit geschlossenen Wundverbänden positive externe Effekte im Sinne einer Verminderung der Umgebungskontamination des sozialen und möglicherweise auch des weiteren Umfelds. Eine konsequente, unverschiebliche und weitgehend dichte Abdeckung der Wunden verringert insbesondere in beengten Wohnverhältnissen die Gefahr der Keimübertragung durch direkten Kontakt, gemeinsam genutzte Gegenstände des täglichen Gebrauchs (insbesondere Hygieneartikel und Handtücher) und andere kontaminierte Oberflächen (Herold et al. 1998: 294f; Chambers 2001: 178, 180; Conly und Johnston 2003: 250; MRPHP 2005: 1, 3).

Unbedeckte Wunden und insbesondere die hohe Tendenz von Drogenabhängigen, an ihren Ulcera zu manipulieren, bergen insbesondere in Ballungsgebieten ein gewisses Kontaminationsrisiko über direkte oder indirekte Kontakte. Geschlossenen Wundbehandlung dürfte diese Gefahr direkt und im Sinne verbesserter Hygiene (vgl. Linde und Lehn 2008, S. 40) deutlich senken, da die chronischen Geschwüre grundsätzlich abgedeckt und daher schwerer mit den Händen zugänglich sind, was die Keimübertragung messbar reduzieren sollte. Zudem bietet umfassendes Wundmanagement auch die Möglichkeit, erfolgreich Verhaltensweisen, geeigneten Umgang mit der Wunde und insbesondere angemessene Hygienemaßnahmen zu vermitteln.

Dies ist bedeutsam, weil auch in Deutschland die Häufigkeit von nicht nosokomial erworbenen, „community-acquired“ Infektionen mit Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus insgesamt zunimmt (Herold et al. 1998: 594ff), wobei eine Besiedlung unter anderem bei Patienten mit großflächigen Wunden, bei intravenösen Drogengebrauchern und bei Obdachlosen verbreitet ist (Saïd-Salim et al. 2003: 452; Young et al. 2004: 949f; RKI 2007; Linde und Lehn 2008: 34). Bei dieser Gruppe besteht auch ein erhöhtes Risiko positiver MRSA-Kulturen und assoziierter Systemerkrankungen (Buck et al. 2005: 1534). Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass MRSA-Infektionen bei Nutzern des Methadon-Programms, wozu die Mehrheit der vom Wundmanagement profitierenden Population gehört, offenbar sogar häufiger auftreten als bei Drogenabhängigen, die Heroin unter weitgehend aseptischen Bedingungen applizieren (Bassetti et al. 2004: 134f).

Die für Patienten subjektiv spürbaren Erfolge des umfassenden Wundmanagement, das neben der medizinisch-pflegerischen Versorgung auch mehr Zuspruch und ein besseres Akzeptanzgefühl einschließt, begünstigt vielfach auch die begleitende Therapie der Grundkrankheiten. So erleichtern Folienverbände nicht nur die Anlage von Kompressionsverbänden bzw. -strümpfen bei tiefer Beinvenenthrombose, sondern der partizipative Ansatz fördert die Akzeptanz dieser sowohl bei chronischen Hautulcera (Blair et al. 1988) als auch bei der vielfach zu Grunde liegenden chronisch-venösen Insuffizienz (Partsch 1991; Motykie et al. 1999: 117ff) evidenzbasiert wirksamen Therapie sowie insgesamt die Motivation der Patienten. In einigen Fällen entschieden sich Drogennutzer im Zusammenhang mit der Aufnahme der Wundbehandlung nach ICW zur Verringerung des Konsums von Drogen und Alkohol oder zu anderen Formen der Lebensstiländerung. Insgesamt waren bei einer Gruppe von Abhängigen unter einer intensiven Wundbehandlung nach ICW erste Anzeichen einer verbesserten Heilung chronischer Wunden zu beobachten, die allerdings nicht systematisch erfasst sind. Wesentlichen Anteil an den Heilungserfolgen hatte zweifellos die deutlich erhöhte Akzeptanz gegenüber Kompressionsverbänden, deren Wirksamkeitsnachweis seit vielen Jahren bekannt und gut belegt ist (Blair et al 1988: 1160f), deren Anwendung aber auch bei Nicht-Drogennutzern große Akzeptanz- und Adherence-Probleme aufwirft (Rayu 2008: 104ff). Die konsequente Applikation fachgerecht angelegter Druckbandagen ist ein wichtiger Nebeneffekt des komplexen Wundmanagements, der möglicherweise die relevanteste ursächliche Therapie chronischer Hautulcera insbesondere an den unteren Extremitäten darstellt (Erickson et al. 1995: 632ff).

Einer grundsätzlichen Einschränkung unterliegt die Behandlungsmethode des “modernen Wundmanagements“ dadurch, dass sie eine Positivselektion in dem Sinne voraussetzt, dass eine hinreichende Kooperationsbereitschaft des Patienten erkennbar sein muss, die ihn überhaupt erst für dieses Verfahren qualifiziert. Damit bleibt die Anwendung neuartiger Wundauflagen auf besser motivierte oder motivierbare Drogenabhängige beschränkt, was ein starkes Risiko mit sich bringt, den als schwieriger oder weniger zuverlässig eingeschätzten Mitgliedern der Zielgruppe diese Methode vorzuenthalten.

Ein weiteres großes Problem ergibt sich aus den vergleichsweise hohen Kosten für diese Therapieform, wobei allerdings der seltenere Verbandwechsel die höheren Einzelpreise kompensieren kann (Hutchinson/McGuckin 1990, S. 265; Rudolph 2001, S. 25). Allerdings umfasst das Angebot neuartiger Wundauflagen und –verbände eine Vielzahl von Produkten zu recht unterschiedlichen Preisen. Die hier dargestellten positiven Erfahrungen mit Wundmanagement bei Drogenabhängigen ließen sich mit vergleichsweise niedrigpreisigen Präparaten erzielen, deren Anwendung das vielerorts verfügbare Budget vermutlich nicht überlasten würde. Ohnehin stellen die individuell anfallenden Behandlungskosten nur einen wichtigen Indikator zur Beurteilung der Frage dar, ob und in welchem Umfang der Einsatz des „modernen Wundmanagements“ bei Nutzern illegaler Drogen gerechtfertigt und empfehlenswert ist. Hier sind geeignete Kosten-Nutzen-Kalkulationen erforderlich, um die erreichten Behandlungserfolge, möglicherweise vermiedene Komplikationen und Nachbehandlungen sowie die eventuelle Verringerung der Keimverschleppung einbezieht.

In Anbetracht der überschaubaren Kosten der verwendeten Materialien lässt die nachweisbare Steigerung der Adherence einen doppelten Effekt erwarten, nämlich eine Verbesserung der Effektivität der Versorgung chronischer Wunden bei intravenösen Drogennutzern und die Verringerung der Gesamtkosten (WHO 2003: 20, 23f). Der Nachweis einer positiven Kosten-Nutzen-Relation erfordert indes eine multizentrische Studie unter Beteiligung verschiedener Projekte, die in der Gesundheitsversorgung Drogenabhängiger tätig sind, die Fixpunkt e.V. unter den aktuellen Bedingungen personeller Engpässe in Folge einer verfehlten Personalpolitik ohnehin nicht alleine bewerkstelligen könnte.

Den Text mit allen Grafiken und der umfangreichen Bibliografie finden Sie in der Januar-Ausgabe 2010 der Zeitschrift Suchtmedizin in Forschung und Praxis.