Dr. Dr. Jens Holst, international consultant - health expert

Sie sind hier: » Publikationen / Publications » Journalistische Artikel / journalistic articles » Medizin / Medicine
23.08.2009

Lungebläschen brauchen Stress

Studie bestätigt erhöhte Komplikationen für die Kinder bei einem geplanten Kaiserschnitt

Jens Holst
Kaiserschnitte erfreuen sich auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Mittlerweile erblickt mehr als ein Drittel der hierzulande geborenen Kinder das Licht der Welt nicht auf natürlichem Wege. Damit hat sich die Häufigkeit der Schnittentbindungen in den letzten beiden Jahrzehnten mehr als verdoppelt.

Was bei Komplikationen und schwierigen Geburten ein Segen ist, bleibt indes nicht gänzlich folgenlos für die Neugeborenen. Eine mehrjährige Untersuchung aus der Uni-Klinik im dänischen Arhus, im britischen Fachblatt »Britisch Medical Journal« veröffentlicht, zeigte nämlich, dass Kaiserschnittkinder bedeutend häufiger unter zum Teil auch schweren Erkrankungen der Atemwege leiden.

Die dänischen Forscherinnen werteten die Daten von fast 35 000 Neugeborenen aus, die von 1998 bis 2006 in der gynäkologischen Abteilung ihrer Klinik zur Welt kamen. Die Häufigkeit von Kaiserschnittgeburten lag in diesem Zeitraum bei knapp 16 Prozent, aber nur jeder zweite Eingriff erfolgte aufgrund von Komplikationen. Alle übrigen waren sogenannte elektive Kaiserschnitte, bei denen sich Arzt und Patientin unabhängig vom Verlauf auf eine operative Geburt einigen. Da Schnittgeburten bei Gefahr für Mutter und Kind unvermeidbar sind und erheblich zur Senkung der geburtsbedingten Sterblichkeit beitragen, konzentrierten sich die dänischen Gynäkologinnen auf elektive Kaiserschnittkinder und deren Atemwegsprobleme.

Dabei zeigte sich, dass Neugeborene bei geplanten Kaiserschnitten bis zu vier Mal häufiger unter Luftnot, beschleunigter Atmung und Lungenhochdruck litten als Säuglinge, die normal oder per Notfalloperation das Licht der Welt erblickten. Einer von 40 Säuglingen, die vereinbarungsgemäß per Kaiserschnitt geboren wurden, brauchte eine drei- oder mehrtägige künstliche Beatmung.

Überraschend ist dieses Ergebnis übrigens nicht, lernt doch jeder Medizinstudent bereits in der Vorklinik, dass der Geburtsstress und vor allem die deshalb stattfindende Ausschüttung von Kortison beim Neugeborenen die Bildung des sogenannten »surfactant factor« anregt, der die Oberflächenspannung der Lungenbläschen erhöht. Kaiserschnittkindern fehlt dieser Kortisonschub, daher fallen die Lungenbläschen bei ihnen leichter zusammen.

Frauenärzte wie der Leiter der Berliner Charité-Klinik für Geburtsmedizin, Joachim Dudenhausen, zweifeln die Bedeutung der dänischen Studie an und warnen vor übereilten Rückschlüssen. Auch dies ist keineswegs überraschend, schließlich ist es in Zeiten von Fallpauschalen und knappen Kassen in deutschen Krankenhäusern mehr als wahrscheinlich, dass die bessere Bezahlung die Entscheidung zu Schnittgeburten beflügelt. In jedem Fall sollte das Ergebnis der Studie aus Arhus auch deutsche Frauen zu größerer Vorsicht bei der leichtfertigen Entscheidung für einen Kaiserschnitt mahnen.

Download-Dokumente: