Dr. Dr. Jens Holst, international consultant - health expert

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14.07.2007

Schwachsinn mit Methode

Merkwürdigkeiten der Pharmakoökonomie

Jens Holst

Bahnbrechende Erkenntnisse waren kürzlich einer renommierten ökonomischen Fachzeitschrift zu entnehmen: Alle BürgerInnen mit Tunnelbohrgeräten zu versorgen wäre billiger, als nur VielfliegerInnen damit auszustatten. Zeitersparnis, geringe Kosten der Reise auf die andere Seite der Welt sowie Kerosin- und CO2-Einsparungen schlügen volkswirtschaftlich positiv zu Buche. Das Ergebnis könne aber, so die AutorInnen, anders ausfallen, wenn die Erde doch keine Scheibe ist.

Unglaublich, aber fast wahr. Ähnliches war jetzt in der Fachzeitschrift PharmacoEconomicszu lesen. Da ging es allerdings nicht um Bohrgeräte, sondern um Medikamente. In seiner Studie „Kosten und Vorzüge direkter Verbraucher-Werbung" rechnet Professor Adam Block von der Harvard University vor, dass der durchschnittliche Gewinn an Lebensqualität für jeden gegen Depression behandelten Patienten 63-mal größer sei als die Therapiekosten. Obwohl die Behandlung 15-mal so viele Gesunde wie Kranke betrifft und nur einer von 20 „PatientInnen" wirklich ein Antidepressiva braucht, würde sich die Behandlung der gesamten US-Bevölkerung rechnen. Dieser Befund könne aber völlig anders ausfallen, würde man die unerwünschten Arzneiwirkungen berücksichtigen. Die hatte er in seiner Studie komplett unter den Tisch fallen lassen.

Dass Mittel gegen psychiatrische Störungen keine „Neben"-Wirkungen haben, ist so wahrscheinlich wie die Annahme, die Erde sei eine Scheibe. In der Komplexität der Weltkugel aber ist der homo oeconomicus, der „neue Mensch" der ökonomischen ModellbauerInnen, in seiner Existenz bedroht. Von der schnöden Realität wollen sich die DünnbrettbohrerInnen und MarktschreierInnen aus ökonomischen Elfenbeintürmen ihr schönes Denkmodell nicht kaputtmachen lassen. Für derartigen Unsinn braucht es offenbar Elite-Universitäten wie Harvard und ökonomische Fachzeitschriften mit kaum verhohlenen politischen Absichten, etwa der Zulassung von Laienwerbung für Medikamente. Und hinter solch weltfremder „Erkenntnis" steckt auch Methode: die wissenschaftliche Rückendeckung für die Umerziehung des Menschen zum marktkompatiblen Wirtschaftssubjekt.

Diesen Beitrag finden Sie in der taz vom 13.7.2007